Dänemark

Zu Gast bei Wikingern 

Frieda in Ribes erster Straße aus dem frühen ­8. Jahrhundert. Nur die Knochen als ­Grundlage hat man durch Holzbohlen ersetzt

Frieda in Ribes erster Straße aus dem frühen ­8. Jahrhundert. Nur die Knochen als ­Grundlage hat man durch Holzbohlen ersetzt. Foto: mw

In Ribe retteten Sand und ein heilsamer ­Dornröschenschlaf das Idyll vor der Moderne

Weil der Zugang zur Nordsee verlandete, hat sich Ribe seinen frühneuzeitlichen Stadtkern mit viel Fachwerk und Kopfsteinpflaster erhalten

Weil der Zugang zur Nordsee verlandete, hat sich Ribe seinen frühneuzeitlichen Stadtkern mit viel Fachwerk und Kopfsteinpflaster erhalten. Foto: mw

Die Anreise wirkt etwas unpraktisch. Von der Europastraße 45 aus Richtung Flensburg kommend, muss man kurz hinter Apenrade auf die Landstraße 24 wechseln und einmal schräg die Halbinsel Jütland durchqueren. Kurz vor dem Ziel überraschen dann zwei Kreisverkehre in der flachen Marsch, die hier zwischen Kuhweiden ähnlich unerwartet auftauchen wie ein Ufo. Wer nun den nächsten Parkplatz ansteuert, der rollt wenig später über unbequemes Kopfsteinpflaster direkt vor die mächtige Domkirche von Ribe wie ein 
gestrandeter Zeitreisender im Mittelalter. 
„Das war nicht immer so“, sagt Stadtführerin Anni Moeller-Christensen. Früher war Ribe über die Mündung des Flüsschens Ribe Au direkt mit der Nordsee verbunden, erzählt sie weiter. Das war so bequem, dass die Stadt bis in die Neuzeit Dänemarks wichtigster Nordseehafen blieb. 

Funde aus der Wikinger-Zeit

Friesische Händler hätten schon ab dem 8. Jahrhundert Glaswaren und Keramik, Tuche und Metall nach Ribe geschifft. Wie aus dem Nichts entstand spätestens um 720 eine Stadt in einer Weltgegend, wo es so etwas vorher nie gegeben hatte. Drei Meter unter den heutigen Straßen haben Archäologen in den letzten Jahren tausende Funde aus dieser Zeit der Wikinger eingesammelt. Gegenüber vom Dom fanden sie 83 Gräber auf Dänemarks ältestem christlichen Friedhof. Seit 2021 kann man sie in 
einem neuen Museum besichtigen. 

Die Nachfahren der Wikinger warten stilecht im Viking-Center. Frieda arbeitet hier in den Sommermonaten als Hausherrin, beaufsichtigt die Kochstelle und die Zubereitung eines deftigen Eintopfes. 

Anhand der archäologischen Funde haben Frieda und ihre Kollegen sich bemüht, Ribe in verschiedenen Zeitabschnitten wieder lebendig werden zu lassen. Der Marktplatz um 710, der Hafen um 750, die Stadt anno 825 und die erste hölzerne Kirche von Bischof Ansgar aus Bremen werden sichtbar. In der Kirche zeigt das Altarbild Jesus nicht am Kreuz, sondern nach dem Geschmack der Nordmänner als Kriegsfürsten mit einem Raben an der Seite. 

Man kann mit spinnenden und webenden Mägden schwatzen, beim Schmied vorbeischauen oder bei einem Juwelier, der aus Mosaiksteinen der antiken Welt neue Schmuckperlen schleift. Auf dem Ringwall wird gekämpft und auf dem Gutshof leben Gänse, Schafe und urtümliche Rinder. 

Ribe versank in Armut

Mindestens siebenmal hat es in Ribe im Mittelalter gebrannt. Die Pest wütete ebenso wie mehrere Sturmfluten. Trotzdem hat sich die Stadt immer wieder berappelt. Dass ihr das neugegründete Esbjerg 25 Kilometer weiter nördlich schließlich den Rang ablief, lag allein daran, dass der Zugang zum Wattenmeer weitgehend verlandete und nicht mehr schiffbar war. Die Stadt versank in Armut. 1895 wussten Ribes Geschäftsleute das Manko zu nutzen und gründeten den ersten Fremdenverkehrsverein in Dänemark.

Die Fachwerkhäuser, die vorher ein Zeichen von Armut gewesen waren, wurden nun zum Pfund. Mit vielen Rosensträuchern an den Fassaden, mit alten Laternen, Buckelpflaster und dem ehemaligen Hafen am Flussufer ist das ganze 8.000-Einwohner-Städtchen heute so hyggelig wie eine Instagram-Idylle. Selbst das kleinste Haus der Stadt ist noch bewohnt. Statt einer Familie mit neun Kindern wie anno 1900 wohnt auf den 25,5 Quadratmetern heute allerdings ein Single. Auch in Ribe ändern sich die Zeiten. 

Martin Wein
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